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17. September 2021

Die Parteibeobachterin – Die Frank Müllers

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Lesehinweis: Es handelt sich hierbei um eine fiktive Geschichte mit vollkommen erfundenen Charakteren und Schauplätzen 

Frank & Detlef & Frank. Eine heteronormative Männergeschichte

Es war einmal in einer großen Stadt, manche sagen sogar „Großstadt“ im Osten unseres Landes. Diese Stadt war weithin (in Ostdeutschland) bekannt, da Sie in aller Munde nur Karl-Marx-Stadt genannt wurde. Ein sonderbarer Name, denn Karl Marx hatte die Stadt nie betreten.  

In dieser postsozialistischen Idylle lebten drei Männer mit seltsam anmutenden, aber sich gleichenden Ansichten, sodass es allen Bürger:innen schwerfiel sie auseinander zu halten. Auch ihre Namen ähnelten sich und wiesen eine Omnipräsenz von Frank und Müller auf. Nicht nur ihre Namensgleichheit einte die drei, sondern auch ihr unerschütterlicher Glaube an sich selbst.  

Der eine glaubte grundsätzlich an eine höhere Macht, die nicht nur durch unsichtbare Hand den Markt, sondern auch ihn und sein Tun lenkte. Er glaubte so sehr daran, dass er es nicht einmal für nötig hielt einen inhaltlichen Wahlkampf zu führen. Der Zweite glaubte daran einer „Volkspartei“ anzugehören und der dritte glaubte tatsächlich an die Macht der unsichtbaren Hand des Marktes und dass man durch Engagement und Fleiß alles erreichen könnte, was man nicht durch eine Abgeordnetendiät schon hat.  

Der Zufall wollte es, dass sich alle drei in eine fremde (wirklich) große Stadt verirrten, um dort ihrer Arbeit als Hinterbänkler nachzugehen. So kam es, dass sie sich eines Tages trafen, um viel zu reden und wenig zu tun. Das schweißte sie zusammen in einer weißen Männerfreundschaft mit viel Mansplaining-Potenzial.  

Besonders freute das den kleinen Frank Müller, denn er hatte zu Hause nicht viel zu lachen. Als einziger Mann unter vier Frauen hatte er kein leichtes Leben. Deshalb genoss er umso mehr die gar liebevolle Umwerbung von Frank und Detlef, die mit ihm oft in vertrauten Momenten über ein gleichberechtigtes Deutschland und Jamaikakoalitionen sprachen. Das verlieh seinem Leben eine nie gekannte Größe. 

Frank Müller machte es immer sehr traurig, dass er nur in Berlin Zeit mit seinen beiden Freunden verbringen konnte und überlegte schon eine ganze Weile, wie es denn möglich wäre, die Koalition zwischen den Dreien zu festigen.  

Die zündende Idee kam während eines gemeinsamen Rituals der drei Freunde. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, immer montags während der Sitzungswoche in der Besucher-Cafeteria des Parlaments einen gemeinsamen Kaffee zu trinken. Dieses für sächsische Abgeordnete identitätsstärkende Element hatte zu gleich den positiven Nebeneffekt Besucher:innengruppen, welche von Abgeordneten eingeladen wurden, bei der Einnahme eines kostenlosen Mittagessens beobachten zu können. Jedes Mal wieder bot sich ein grandioses Schauspiel, die langen Gesichter der hungrigen Besucher:innen bei der Einnahme des immer gleich wirkenden Nährschlamms zu beobachten. Meist gab es Reis mit Scheiß („Huhn“) und irgendetwas „Vegetarisches“.  

Beim Beobachten und Zuhören stellten Frank Müller fest, dass die Gäste aufgrund ihrer eigentümlichen Sprache womöglich aus Karl-Marx-Stadt sein mussten. Wahrscheinlich eingeladen von einem gewissen Tim, der es aufgrund der schlechten Namenswahl seiner Eltern und seiner „progressiven“ politischen Ansichten nie in den elitären Kreis der drei geschafft hatte. Frank Müller wusste über Tim nicht viel, nur, dass er immer mit dem Zug von Karl-Marx-Stadt in die Hauptstadt fuhr, dass das eine halbe Ewigkeit dauerte und fast so teuer wie eine Limousine mit Chauffeur war. 

In diesem Moment durchfuhr ihn ein genialer Gedanke wie Karl-Marx-Städter Mundwasser. Ein Traintrip mit dem Zug von Karl-Marx-Stadt in die Hauptstadt und das zu dritt. Der kleine Frank Müller verlor keine Zeit die zündende Idee Frank und Detlef zu offenbaren. Frank zeigte anfangs noch etwas Skepsis. Was sollten den die Leute denken, vor allem die von der Autolobby. Er ließ sich dann aber doch auf das Abenteuer ein. Detlef willigte sofort ein, er war früher berufsbedingt viel Zug gefahren und hatte es dadurch (lieben) gelernt. Die drei verabredeten sich sogleich. 

Pünktlich Sonntag 19:15 Uhr traf sich das Trio auf Gleis 1 des Karl-Marx-Städter Bahnhofs, wobei Frank Müller zu seiner Verwunderung feststellen musste, dass sich der Bahnhof, den er seit seiner Jugend nicht mehr betreten hatte, gänzlich verändert hatte. Auch Frank stellte fest, dass die Straßenbahnen auf einmal durch den Bahnhof fahren konnten, aber warum? Aufklärung konnte Detlef leisten, er hatte das Karl-Marx-Städter Model zuhause als Eisenbahnplatte, sogar schon bis zur zweiten Ausbaustufe und er hatte natürlich Fotos dabei, die er aufgeregt zeigte. Die beiden anderen staunten nicht schlecht, wussten sie doch nicht, dass man das Karl-Marx-Städter Umland ohne Auto überhaupt erreichen konnte. Für ÖPNV hatten sie sich nie interessiert.  

Der Zug stand schon bereit und mutete im Gegensatz zum neugebauten Teil des Bahnhofs an wie ein Relikt aus vergangener Zeit. Für Frank Müller schien der Anblick gewohnt, der Zug entsprach dem technischen Standard seiner letzten Zugfahrt. Aber Frank war entsetzt, er hatte geglaubt, dass es dank der Teilprivatisierung der Bahn nur noch hochtechnisierte Züge mit kostenlosem W-Lan auf dem neusten Stand geben würde. 

Nachdem dieser erste Schock überwunden war traf, das Trio beim Einsteigen auf Ingrid M. Frau M. war den dreien von zahlreichen Empfängen und Häppchengelagen bekannt und in Karl-Marx-Stadt eine schillernde Persönlichkeit der Kunst- und Kulturszene. Beim Versuch ihren schweren Koffer in den Zug zu wuchten kam sie an ihre körperlichen Grenzen, sodass ihr Frank und Detlef helfen mussten. Frank Müller war mit sich selbst beschäftigt, er hatte große Mühe die hohen Stufen des Zuges zu erklimmen. Barrierefreiheit war in den überholten Wagons aus den 70ern noch ein Fremdwort.  

Da im Zug nur noch eine freie Sechser-Kabine vorhanden war, setzten sich die vier zusammen. Frau M. fragte die Herren höflich, ob sie sich denn kennen würden. Müller übernahm die Aufklärung und durfte sich in Folge die nächsten Minuten eine Tirade an Beschwerden über den Karl-Marx-Städter „Fernverkehr“ anhören. Eine Schande für die Kulthauptstadt 2025, die kaum erreichbar sei, ganz abgesehen von der nicht vorhandenen Barrierefreiheit des Zuges. Die drei taten, was sie in solchen Momenten so oft taten: Lächeln und Besserung versprechen. 

So löste eine Worthülse die andere ab, bis kurz vor Bad L. eine verhängnisvolle Ansage das Schlimmste prophezeite. Schienenersatzverkehr, ein Wort das alles Leben in einem Reisenden erlöschen lässt. Die restliche Fahrt ging es nun weiter mit dem Bus, der selbstverständlich mehr als doppelt so lange benötigte. Detlef, der die Fahrt geplant hatte, wurde allmählich nervös. War der Anschlusszug noch zu schaffen oder steckten sie womöglich länger fest? Seine Vorahnung bestätigte sich, der ICE in die Hauptstadt war weg, einfach gefahren ohne auf die Reisenden aus Karl-Marx-Stadt zu warten. Ein Gefühl der Angst machte sich breit. War’s das jetzt? War der Traintrip vorbei? Einfach so? Und das schon in Leipzsch! 

Nein, der nächste Anschlusszug sollte bereits knapp eine Stunde später fahren, so wie das in normalen Großstädten üblich war. Das gab den drei Herren die Gelegenheit sich den Leipzscher Bahnhof einmal näher betrachten zu können. Er wirkte im Gegensatz zum Karl-Marx-Städter Äquivalent pompös und belebt. Überall waren Einkaufsmöglichkeiten und Stände, an denen Essen erworben werden konnte, auch fühlte sich die ganze Atmosphäre viel lebendiger an. Kurz beobachteten sie einen jungen Mann mit dunkler Hautfarbe, der es ganz offensichtlich eilig hatte, weil er seinen Zug erwischen wollte. Er war auf dem Weg zum Gleis, da wurde er von zwei Polizisten angehalten und nach dem Ausweis gefragt. Der junge Mann antwortete ihnen, dass er es eilig habe und seine Ausweisdokumente ganz unten in seinem Reiserucksack sein und warum sie grade ihn anhalten würden. Der Polizist antwortet harsch, ob das eine Unterstellung nach Racial Profiling sei und dass es sich hier nur um eine routinemäßige Kontrolle handle. Als der junge Mann die Papiere endlich gefunden und den Polizisten gezeigt hatte, war sein Zug weg, aber Hauptsache mit seinem Pass war alles ok. Die drei Herren fanden gut, dass hier noch auf Sicherheit wert gelegt wurde.  

Frank, der in diesem Moment nach oben blickte musste feststellen, dass an der Anzeigetafel ihr Zug mit 40 Minuten Verspätung ausgeschildert war. Die Ansage folgte prompt am Gleis, der Grund waren Probleme mit der Klimaanlage, was sonst? Frank-Müller, der sich der misslichen Situation nicht bewusst war, machte dazu den passenden Scherz: die 4 Todfeinde der Deutschen Bahn: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Doch das Lachen verging ihm, als er merkte, dass sie nun noch länger festsaßen. 

Aus der ursprünglichen Wartezeit wurden 2 Stunden, mittlerweile war es 23:00 Uhr, der Zug kam doch noch und war sehr voll. Detlef der an den Tickets für die Platzreservierung sparen wollte, weil er der Meinung war, dass der Zug schon nicht so voll sein würde, musste nun erkennen, dass nur noch Stehplätze in unmittelbarer Nähe der Toiletten vorhanden waren. Die Klimaanlage funktionierte immer noch nicht. 

Nach einer Weile schaffte es der Zugbegleiter, sich einen Weg durch die verstopften Gänge zu bahnen. Bei den Dreien angekommen kontrollierte er die Tickets und stellte fest, dass die Fahrkarten eigentlich nur Gültigkeit für den vorhergehenden Zug gehabt hätten. Frank Müller, dem die Strapazen langsam zu schaffen machten und der in den unteren Sphären des Zugabteils wahrscheinlich zu viel CO2 absorbiert hatte, reichte es nun völlig. Sein Kopf wurde knallrot, er kam dem Explodieren nah und beschwerte sich lautstark über die Frechheiten, die er hier ertragen müsse, er sei schließlich für Karl-Marx-Stadt in der Welt unterwegs. Der Zugbegleiter, der während seiner letzten Schicht keinen Elan mehr hatte, sich mit den Problemen des kleinen Mannes auseinander zu setzen, kapitulierte schließlich und zog weiter.  

Spät in der Nacht erreichten die drei Freunde vollkommen erschöpft die Hauptstadt. Die Stadt leuchtete selbst in der Nacht mehr als Karl-Marx-Stadt am Tag. Sie hatten die lange, beschwerliche Reise geschafft und es war nicht umsonst gewesen. Denn Detlef hatte plötzlich eine Idee, die künftig über ganz Karl-Marx-Stadt strahlen sollte. Eine direkt ICE-Verbindung von Karl-Marx-Stadt in die Hauptstadt, einmal früh und einmal am Abend. So wäre es möglich, rechtzeitig zum Parlament zu kommen und am Abend wieder zurückfahren zu können. Diese Idee würde er gleich für seinen Wahlkampf recyceln. Frank und Frank Müller waren begeistert, waren aber im nächsten Moment traurig, dass sie selbst keine Ideen für ihren eigenen Wahlkampf hatten… 

Wenn ihr jetzt schon ganz gespannt seid, ob Frank und Frank Müller doch noch ein Thema für Ihren Wahlkampf finden, dann… 

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