Neuigkeiten

17. September 2021

Die Parteibeobachterin – Kindermärchen

Zurück zur Zeitung

Kindermärchen – Der gestohlene Vogel 

Es war einmal ein kleiner Rabe, der lebte mit seinen zwei Mamas und wollte einmal ein großer Politiker werden. Leider wohnte der kleine Rabe in Chemnitz und wie alle wissen ist Chemnitz weithin nur für Politiker bekannt, die Nazis und Faschisten sind. Also beschloss der kleine Rabe, dass er in die Welt hinausziehen muss um dort sein Glück zu suchen. Nachdem er vergeblich versuchte, mit dem Zug aus Chemnitz zu flüchten, kam auf einmal ein Mann mit Bart auf ihn zu und fragte ihn, ob er eine Mitfahrgelegenheit nach Berlin braucht. Dankbar nahm der kleine Rabe das Angebot an und fuhr, naiv wie er war, mit in die deutsche Hauptstadt. 

Dort angekommen, lockte ihn der Mann mit Bart in seine Fänge – er war Bundestagsabgeordneter und versprach dem kleinen Raben, dass er mit ihm erleben kann, wie „echte“ Politik funktioniert. Doch in Wahrheit durfte der kleine Rabe nicht bei der Politik mitmachen. Vielmehr war er nur ein Statist bei vielen Videos, die der Mann mit Bart mit ihm drehte. Der Mann nannte ihn in den Videos ‚Frei‘, weil er Alliterationen mit seinem eigenen Namen mochte und dachte es macht ihn sympathisch, auf demokratische Werte anzuspielen. Er sollte mit dem Mann mit Bart erklären, wie der Bundestag funktioniert, aber meistens musste er stumm sein, während der Mann mit Bart alleine mit der Kamera sprach und seine konservativen Werte verbreitete. Nach über einem Jahr der desillusionierten Arbeit für den Bundestagsabgeordneten konnte sich der kleine Rabe endlich von ihm lösen. wie hatte er das geschafft? Er suchte sich heimlich eine Mitfahrgelegenheit Richtung Heimat und nach mehreren Etappen und Zwischenstopps gelangte er endlich mit der Regionalbahn nach Chemnitz. Am Bahnsteig angekommen, verabschiedete sich der kleine Rabe kaum von seinen Mitreisenden, schon kam er in eine verdachtsunabhängige Kontrolle der Bundespolizei.  

Nachdem er diese überstanden hatte, traf ihn gleich der nächste Schicksalsschlag: Direkt vor der Bazillenröhre stolperte in ein Lastenfahrrad, das von einem jungen hippen Mann gefahren wurde. „Oh nein“, sprach der junge hippe Mann, „ist dir etwas passiert, kleiner Rabe?“ Der kleine Rabe fing überwältigt an zu weinen und erzählte dem jungen hippen Mann von seiner beschwerlichen Reise. Voller Mitleid sagte der junge hippe Mann: „Weißt du was, kleiner Rabe? Ich will für den Bundestag kandidieren und kenne den Mann mit Bart. Willst du mit mir zusammenarbeiten und dein Image reinwaschen, indem wir einen Comic für junge hippe Jugendliche machen? Dann kannst du dem Mann mit Bart zeigen, welche Politik du wirklich machen willst! Wir werden dich ‚Freedom‘ nennen, damit alle wissen, dass du der kleine Rabe aus seinen Videos bist.“  

Der kleine Rabe überlegte lange, ob er dieses Angebot annehmen sollte. Schlussendlich sagte er ja, da er mehr über den jungen hippen Mann und seinen Wahlkampf erfahren wollte. Aber sobald kamen auch ihm Zweifel: Die Comics waren plakativ, hatten eine unübersichtliche Erzählstruktur und waren gezwungen auf ein junges Publikum angepasst, dass der junge hippe Mann von sich überzeugen wollte. Nach einer Weile war es dem kleinen Raben auch dort zu viel und er floh vor dem jungen hippen Mann. Ziellos flog er über die Stadt, bis er ein Glockenspiel hörte, dass ihn an seine Kindheit erinnerte.  

Er drehte um und landete auf dem Rathausgebäude. Er machte es sich auf dem Dach bequem und beobachtete das Treiben auf dem Marktplatz. Und dann sah er sie: all die Lokalpolitiker:innen, die sich tagtäglich in das Rathaus schieben um dort miteinander zu klüngeln und Absprachen zu halten. Die einen lachten sich ins Fäustchen, weil die anderen so dumm waren und immer noch an den Absprachen fest hielten, während sie selbst nur Vorteile für sich herauszogen. Die anderen waren empört, weil die ersten ihren Teil der Absprachen nicht mehr einhielten, waren aber so naiv immer nur weitere Absprachen einzugehen. Nach einer Weile war es ihm genug. Er startete vom Dach, zog ein paar Runden, zielte, und schiss zielsicher auf den Kopf von einem der herumwuselnden Politiker, deren eigenes Ego größer war als das Bedürfnis gut für ihre Bürger:innen zu entscheiden. Der kleine Rabe lachte in sich hinein und setzte an zur nächsten Runde. Es gab genug Ziele für ihn und genug Fressbuden auf dem Markt um aufzutanken.  

Endlich war der kleine Rabe wirklich frei und fand seinen ganz eigenen Platz in der Politik. Manchmal, liebe Kinder, führt Politikverdrossenheit eben dazu, dass man mit Scheiße um sich wirft, weil man es sonst nicht mehr aushält. 

Zurück zur Zeitung